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Zum Vortrag „Emanzipation, Agency und Feminismus in islamischer Praxis“

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Anfang Februar war ich bei einem Vortrag von Prof. Dr. Claudia Derichs (Philipps Universität Marburg) im Rahmen des Forschungskolloquiums der Arbeitsstelle Gender Studies der Justus-Liebig-Universität Gießen. (Im letzten Semester war ich bereits begeistert von dem Vortrag Hoda Salahs in dieser Reihe.) Der aktuelle Vortrag war zum Thema „Emanzipation, Agency und Feminismus in islamischer Praxis“.

Am Beginn steht eine Frage: Was ist islamischer Feminismus?

Claudia Derichs pflückt die Begriffe auseinander und definiert. Wichtig ist die Differenzierung der Bezeichnungen ‚islamisch‘ und ‚muslimisch‘. Aus feministischer Perspektive wird dem eine wesentliche Bedeutung beigemessen. ‚Islamisch’ ist in der Regel autoritativ festgelegt. Offizielle religiöse Institutionen oder einzelne Imame können definieren, was islamisch ist und vor allem was nicht. Dieser Deutungsmacht wollen Feministinnen etwas entgegensetzen ohne ihrerseits Macht auszuüben. Daher grenzen sich die meisten Aktivistinnen begrifflich ab und nennen sich selbst ‚muslimische‘ Feministinnen. Das Attribut ‚islamisch’ steht außerdem für eine meist unumstößliche Auslegung, so z.B. im Fall der Familiengesetzgebung. Indem Feministinnen die Familiengesetzgebung als ‚muslimisch‘ bezeichnen, schreiben sie ihr einen von Menschen geschaffenen und daher veränderbaren Charakter zu.

Wie muss man sich nun die Verbindung von Islam und Feminismus vorstellen?

Hier werden drei Strömungen ausgemacht.  So gibt es Islam-wissenschaftlerInnen, die sich klassisch hermeneutisch auf die Quellen beziehen und diese (feministisch) neu übersetzen oder interpretieren. Ein anderer Ansatz ist das Übertragen von Koranzitaten auf die heutige Zeit; d.h. eine im Koran geschilderte Situation wird im Zusammenhang ihrer Zeit gelesen, die sich notwendigerweise heute als inadäquat erweist. IslamwissenschaftlerInnen suchen darauf hin nach möglichen Entsprechungen für die Gegenwart. Eine dritte Möglichkeit ist die Scharia, die Gesetzgebung und –auslegung feministisch zu hinterfragen. Die Scharia wird also nicht komplett verworfen, wie zum Teil von säkularen Feministinnen gefordert, sondern in Bezug auf die konkrete Anwendung und aktive Rechtsprechung feministisch durchleuchtet.

Wie wird Feminismus und Emanzipation von religiösen Frauen praktiziert?

In ihrer viel diskutierten Studie “Politics of Piety: The Islamic Revival and the Feminist Subject” (2004) stellt Saba Mahmood nach ausführlichen empirischen Studien die Dichotymisierung von säkular und religiös in Bezug auf Feminismus in Frage. Die religiösen Frauen eroberten sich bestimmte Bereiche innerhalb des bestehenden Systems – ohne es in seinen Grundsätzen zu hinterfragen aber durchaus mit emanzipatorischem Anspruch.
Diese Frauen streben nach Subjektentfaltung in Frömmigkeit. Sie sehen Männer und Frauen eher als komplementär (equity) denn als gleichberechtigt (equality). Diese Akteurinnen sind da, sie handeln und dürfen nicht ignoriert werden, ‚nur‘ weil es keine Kategorien für sie gibt.

Ein eindrückliches Beispiel ist der „Obedient Wives Club“ in Malaysia, dessen Ziel es ist Ehefrauen zu gutem islamischen Sex mit ihren Ehemännern anzuhalten. Der Club betont die sexuelle Befriedigung der Ehemänner als oberste Priorität der Ehefrauen, damit diese nicht untreu werden. Gern wird auch mit praktischen Tipps ausgeholfen. Die ‚gehorsamen Ehefrauen‘ bewegen sich im patriarchalischen System, aber organisieren sich und üben Handlungsmacht aus, um ein bestehendes Problem – das Fremdgehen der Ehemänner – zu lösen.

Am Ende bleiben zwei Fragen, die Zuhörerinnen gestellt haben, im Raum schweben:

Wie gehen wir, als Feministinnen, auf normativer Ebene mit diesen Fakten um? Selbstbestimmung in Frömmigkeit und patriarchaler Ordnung? Geht das tatsächlich zusammen?
Angesichts „Guter-Ehefrauen-Clubs“ und freiwilliger Unterordnung im Namen einer vorausgesetzten (und hierarchisierten!) Komplementarität der Geschlechter bleibt ein Unbehagen…

Und: Warum ist muslimischer Feminismus in unseren Medien so wenig präsent? Fällt es uns – und den Mainstream-Medien – so schwer vom stereotypen Bild der unterdrückten Frau im Kopftuch ohne eigene Ansichten Abschied zu nehmen?

Zum Weiterlesen:
– Leila Ahmed: A quiet revolution. The Veil’s Resurgence, from the Middle East to America. Yale University Press, 2011.
– Lara Deeb: An Enchanted Modern: Gender and Public Piety in Shi’i Lebanon. Princeton, 2006.
– Andrea Fleschenberg, Claudia Derichs (Eds.): Women and Politics in Asia. A Springboard for Democracy? Berlin: LIT Verlag, 2011.
– Sherine Hafez: An Islam of Her Own: Reconsidering Religion and Secularism in Women’s Islamic Movements. New York University Press, 2011.
– Saba Mahmood: Politics of Piety. Princeton 2004.


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